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Von Istanbul nach Zentralanatolien
Rein geographisch haben wir jetzt also den asiatischen Kontinent erreicht.
Eigentlich hatten wir uns vorgenommen heute Nachmittag noch ungefähr bis Ankara zu kommen. Doch manchmal kommt es anders…
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Nach etwa 100 Kilometern ist der Mistreifen von der Dragstar doch wahrhaftig schon wieder platt. Sämtliche Versuche ihm wenigsten ein paar Millibar Luft einzuhauchen scheitern erbärmlich. Ich frage mich ob unsere netten türkischen Yamaha-Schrauber von gestern da wohl etwas übersehen haben ? Zähneknirsch. Diesmal nehmen wir die Sache lieber selbst in die Hand. In einer nahe gelegenen Lkw Werkstatt gibt es einen Wagenheber. (Die Dragstar hat keinen Hauptständer) Wir bauen die Karre auseinander und Rugard als alter Schrauber hat die Pelle mit Montiereisen ruck zuck von der Felge runter. |
Alles in allem benötigen wir für die Flick-Aktion ungefähr die halbe Zeit wie unsere professionellen Kollegen gestern. Die haben ja nur einen neuen Schlauch eingezogen. Wir haben auch noch geflickt und fragen uns was die so lange gemacht haben.
Weiter geht’s und so langsam kommen wir auch wieder in höhere Lagen, es wird grüner und kühler. Ein Zeitlimit haben wir für heute auf jeden Fall: Das EM-Spiel Deutschland gegen die Türkei ! Eine halbe Stunde vor Spielbeginn, es ist schon dunkel geworden, fahren wir in Bolu von der Autobahn ab. Werner und Rugard halten nebeneinander an einer roten Ampel. Die große, frische Öllache zwischen den beiden ist in der Dunkelheit schlecht zu sehen. Rugard rutscht mit dem Fuß weg, und fällt samt Teneré auf Werner und die kleine Dragstar, die etwa einen halben Meter niedriger ist. Die beiden haben sich völlig ineinander verkeilt. Von hinten betrachtet sieht das übel aus, aber ist sonst nicht viel passiert. Wir suchen uns ein Hotel mit „Fernsehraum“. So langsam merkt man jetzt wirklich dass man in Anatolien ist. Während das Flair in Istanbul doch noch sehr westlich geprägt war, wird es hier langsam asiatischer. Das Hotel war gut, das nicht, aber es hatte Farbzusammenstellungen und Kombinationen von Möbeln und Accessoires unterschiedlicher Stilepochen das einem die Augen gebrannt haben. Antiquitäten und Gartenzwerge. Der Westeuropäer würde sagen: Kitsch. Aber sehr lustig war es.
Werner und ich sitzen als einzige Deutsche, mit etwa 20 Türken im Fernsehraum der Villa Kunterbunt und sehen das Spiel mit türkischem Kommentator. Wir haben uns bewusst ganz nach hinten gesetzt, wer weiß wie das Spiel ausgeht, und wie die Leute hier so reagieren. Lustig ist, dass die Türken sehr verhalten reagieren, wenn überhaupt. Wenn die türkische Mannschaft im Vorteil ist geht höchstens mal ein dezentes Raunen durch den Saal. Beim 1:0 für Deutschland herrscht Totenstille. Ein, zu spät abgewürgter Jubelschrei ist mir rausgerutscht, der mit wortlosen bösen Blicken aus den vorderen Reihen quittiert wird. Beim erfolgreichen türkischen Torschuss wird geklatscht, als hätte ein Jongleur gerade ein nettes Kunststück hingelegt, mehr nicht. Als das Spiel schließlich mit der türkischen Niederlage endet, stehen alle wortlos auf und gehen. Es gibt einen sehr schönen, großen Garten mit einem Restaurant. Stilistisch irgendwo zwischen Schwarzwald und China einzuordnen. Dort genießen wir noch sehr leckere einheimische Grillspezialitäten und sind überrascht von der guten Qualität. Erst später erfahren wir dass Bolu sozusagen das „Feinschmeckermekka“ der Türkei ist.
Am nächsten Morgen gibt es erstmal einen kleinen Service für die Mopeds. Kette spannen, Öl usw. Auch wir spüren die knapp 3000 Kilometer mittlerweile schon ein wenig in den Knochen. Außerdem werde ich von diesem (Sch…) Nescafé einfach nicht richtig wach.
Wir machen uns auf den Weg. Unser Ziel ist Kappadokien, eine bizarre Vulkanlandschaft etwa 300km südöstlich von Ankara. Die Straßen werden allmählich schlechter. Es liegt überall ziemlich viel Öl auf der Gasse. Verlorene Ladung, geplatzte Reifen und anderen Unrat räumt hier anscheinend niemand weg. Unterwegs überholen wir fünf Jungs, die einen Ausflug mit einer Teermaschine AUF DER AUTOBAHN machen. (Die türkischen Teermaschinen sind genau so breit und genauso langsam wie die deutschen) Wir verlassen die Berge und in Ankara ist es schon wieder richtig heiß. Wir wollen auf die E90 Richtung Süden. Die E90 gibt es aber zweimal, das haben wir vorher nicht gesehen. Natürlich erwischen wir die falsche und fahren erst mal 75km in die falsche Richtung.
Auf diesem Umweg, etwa 60km süd-westlich von Ankara überholen wir einen vollbesetzten, uralten Reisebus, der die Spur derart verstellt hat, dass er fast 2 Fahrspuren benötigt. In einem Winkel von etwa 30 Grad fährt die Kiste mit knapp 100 Klamotten über die Autobahn. Die Leute winken uns freundlich zu, wahrscheinlich weil wir sie so ungläubig angucken. Manchmal fahren hier auch riesige Mähdrescher mit Tempo 40 rum. Auf einer Schnellstraße ohne Standstreifen wurde ich um die Erfahrung reicher wie sich das anfühlt, wenn der entgegenkommende, Lkw überholende Dosenfahrer einen einfach ignoriert. Das passt dann schon irgendwie noch alles (knapp) aneinander vorbei, aber diesen Kick brauche ich nicht unbedingt öfters.
Wieder auf der richtigen Piste, nach ca. 150km Umweg - shit happens - haben wir keinen Bock mehr auf Schnellstraße und biegen bei Ogulbey auf die D260 ab, über Karakecili Richtung Kirsehir. Ein letzter Tankstop und es geht ab in die Berge. Es ist so heiß, dass die oberste Bitumenschicht des Straßenbelages flüssig geworden ist. Es glänzt wie Wasser. Ich kann das Reifenprofil meiner vorausfahrenden Kollegen deutlich auf der Straße als Negativ wieder erkennen. Da muss man sich erstmal dran gewöhnen. Erst mal austesten, ist das jetzt rutschig, oder hat es noch Grip ? Fazit: Es sieht zwar nicht so aus, aber es hat noch genügend Grip. Nur ein ziemlich „schwammiges“ Fahrgefühl.
In einer kleinen Stadt unterwegs suchen wir eine Bank auf um Geld zu tauschen. Hier werden wir noch einmal daran erinnert dass wir uns mittlerweile in Zentralanatolien befinden. Alles ist ein bisschen gemütlicher und langsamer. Alle sind sehr freundlich, aber es dauert ewig.
Nach etwa einer Stunde setzen wir unsere Fahrt fort. Kurze Zeit später hört die Straße einfach auf und geht in eine breite Schotterpiste über die manchmal von gefährlich tiefen Querrillen durchzogen ist. Rugard sagt wie das zu handeln ist: niedriger Gang, hohe Drehzahl damit die Gabel entlastet wird und man vorne nicht so tief eintaucht. Ansonsten möglichst schnell, weil die Fliehkraft Stabilität bringt. Das funktioniert auch. Da ich als letzter fahre, schlucke ich erst ziemlich viel Dreck und lasse mich dann zurückfallen. So geht es einigermaßen. Außerdem empfinde ich die Aktion ziemlich anstrengend, so langsam ist bei mir der Akku leer. Nach etwa 40km gibt es noch mal ein kurzes Stück Asphalt und dann noch mal etwa 35 km Schotterpiste.
Werner Hucks ist knallhart mit seiner Dragstar mit 90km/h durch den Schotter gebrettert - an dieser Stelle muss es einmal gesagt werden: Respekt !
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