Istanbul

An der ersten Tankstelle in der Türkei staunen wir nicht schlecht über die Spritpreise. Noch mal deutlich teurer als in Deutschland. Es ergibt sich ein netter small-talk mit den Mechanikern der angrenzenden Werkstatt. Die zeigen uns ihre alten Javas, und einer hat sogar eine MZ. Weiter geht’s über Kirklareli auf die O3 Richtung Istanbul.

Etwa 40km vor Istanbul passiert dann das, was ja irgendwann mal kommen musste. Die Dragstar hat den ersten Plattfuß. Wir stehen am frühen Nachmittag auf dem Standstreifen der Autobahn und packen die Luftpumpe und das Werkzeug aus. Dummerweise sind wir gerade an einer Steigung liegen geblieben. Bis zu fünf Meter hoch beladene, antiquierte Lkws, benutzen den Standstreifen hier gerne als zusätzliche Spur. Nicht ungefährlich, einer muss immer aufpassen dass die uns früh genug sehen. Ein Pkw hält an. Der türkische Geschäftsmann entpuppt sich als Biker. Er leitet einen großen Motorradclub in Istanbul. Sinan ist ein super Typ, der selbst Yamaha fährt und sehr um uns bemüht ist. Er sorgt dafür dass die Dragstar per Abschleppwagen zu seiner bevorzugten Yamaha-Werkstatt nach Istanbul gebracht wird. Mit der Werkstatt macht er außerdem noch klar dass die auf uns warten und den Reifen auch noch heute flicken werden. Außer Sinan haben aber noch viele Andere angehalten die uns helfen wollten. Vor allem hilfsbereite türkische Trucker. Ich beschließe für mich, es ihnen gleich zu tun, wenn ich wieder zurück in „good old germany“ bin. So zuckeln Rugard und ich hinter dem Abschleppwagen her Richtung Istanbul.

Diese Stadt ist so wahnsinnig gross ! West-Ost Ausdehnung ca. 50 Kilometer. Schon 20km vorher sieht man überall die völlig überdimensionierten türkischen Flaggen. Es geht durch Viertel mit riesigen, neuen Wohnblocks, die direkt an der Autobahn liegen, Richtung Zentrum. Wir haben Glück, Sinans Yamaha Händler befindet sich in einer Seitenstraße, etwas unterhalb der Bosporusbrücke. Also ziemlich genau dort, wo wir sowieso hin wollten. Hier werden wir bereits erwartet und außerordentlich freundlich begrüßt. 3-4 Leute umsorgen uns und die Dragstar wird in das kleine Ladengeschäft geschoben wo gerade genug platz ist um an einem Moped zu schrauben. Ohne Hebebühne. Für uns werden Stühle vor den Laden gestellt, Getränke gereicht und der Sohn des Yamaha Händlers fängt an unsere Mopeds zu putzen.
Ich sehe Rugard an wie es ihm in der Seele weh tut, dass die schöne „Fernreisepatina“, die sich auf der Teneré mittlerweile gebildet hatte, gründlich abgewaschen wird. Aber er sagt kein Wort. (Aus Anstand)
„Liebe deutsche Motorradhändler, von diesem Service könntet ihr euch doch mal eine Scheibe abschneiden, dann würden wir uns auch öfters mal bei euch blicken lassen.“
Ich nutze die Gelegenheit und merke mir genau wie der Kardan der Dragstar zu zerlegen ist. Sogar der Auspuff muss ab. Im Schlauch des Hinterrades findet sich ein abgebrochener großer Segering.
Nach knapp 2 Stunden ist (scheinbar) alles wieder in Ordnung. Sinan hat sich angeboten den Abend mit uns in Istanbul zu verbringen. Etwas Besseres kann uns ja gar nicht passieren. Der Typ hat kurzerhand seine Verpflichtungen für den Abend abgesagt um mit uns zusammen zu sein - Wahnsinn. Er holt uns mit seiner FJR beim Yamaha Händler ab, und gemeinsam fahren wir durch das nächtliche Istanbul, über die Galatabridge, in den Süden wo sich der ursprüngliche Stadtkern von Konstantinopel befindet. Er besorgt uns ein schönes Hotel mitten im Zentrum und wir gehen gemeinsam Essen. Sinan war bis vor kurzem Präsi eines Istanbuler Motorradclubs mit 200 Mitgliedern. Dann hat er festgestellt dass es ja eigentlich viel mehr Spaß macht Ausfahrten mit nur 5-6 Motorrädern zu machen. Deshalb hat er jetzt einen kleinen, neuen MC gegründet. Eigentlich hat er mal E-Technik studiert, lebt aber mittlerweile (scheinbar sehr gut) von dem Handel mit Känguruhfellen. Wir lachen uns weg. Er spricht nahezu perfektes Englisch. Da er in Istanbul aufgewachsen ist kann er uns sehr viel über die Stadt erzählen. Das kulturelle Leben und das Business findet vor allem im westlichen, europäischen Teil statt. Die meisten Wohngebiete befinden sich im östlichen Teil auf der anderen Seite des Bosporus. Sinan interessiert vor allen Dingen unsere Motivation einen solchen Trip zu machen. Nach kurzer Zeit wird auch klar warum. Insgeheim träumt er nämlich auch schon lange davon. Er möchte sich, verständlicher Weise, eher nach Westen orientieren z.B. Italien. Wir ermutigen ihn es einfach zu tun. Es gibt sicher immer zahlreiche Hindernisse, aber wenn man unbedingt will, dann findet sich auch ein Weg es zu tun. Wir beschließen den wunderschönen Abend in Istanbuls Altstadt, verabschieden uns von Sinan, und ziehen Richtung Hotel.
Danke Sinan !

Im Hotelzimmer kann ich mich nicht mit dem Gedanken abfinden, mich in einer der geilsten Metropolen auf der ganzen Welt zu befinden, und jetzt ins Bett gehen zu müssen. Alleine ziehe ich in dieser Nacht noch sehr lange durch die Straßen Istanbuls. „Ich glaube hier bin ich nicht zum letzten Mal gewesen, da muss man eigentlich mal eine ganze Woche hin.“
Am nächsten Morgen steht Sightseeing auf dem Programm. Nach einem ausgedehnten Frühstück in der Altstadt besichtigen wir die blaue Moschee und die Hagia Sophia. Etwas dilettantisch stellen wir dann später fest, dass wir die beiden bekanntesten Sehenswürdigkeiten Istanbuls verwechselt haben. (Pssst !)
Kurzer Zwischenkaffee in den Anlagen des großen Palastes und dann zum Mittagessen auf die Dachterrasse eines Hotels. Herrlicher Rundumblick über den Bosporus.

Als wir nachmittags zurück zum Hotel kommen haben Bauarbeiter auf der Straße, neben unseren Bikes Beton gemacht. Das wäre ja nicht so schlimm, hätten sie diesen nicht mit Schaufeln, über die Mopeds in den ersten Stock eines Hauses geworfen. Alles ist voll Beton. Ich bin ziemlich sauer, weil wir vorher extra noch gefragt hatten ob die Karren dort stehen könnten. Die Entschuldigungen halten sich sehr in Grenzen und wir beschließen zu verduften. Wir packen die Klamotten und stürzen uns ins Istanbuler Verkehrschaos. Das ist schon ziemlich interessant. Es gibt jede Menge Ampeln die einfach nicht beachtet werden. Andere wieder schon. Eine Klassifizierung, wo man jetzt anhält und wo nicht kann ich nicht erkennen. Also einfach so fahren wie alle anderen es auch tun. Witzig finde ich dass viele Ampeln noch ein kleines Display an der Seite haben. Darauf sieht man einen Countdown, der im Sekundentakt die nächste Grünphase anzählt. Von zehn auf null. Wenn es sich nun um eine Ampel handelt an der man bei rot auch stehen bleibt, dann fährt man bei minus drei wieder los.

Wir verlassen den Kontinent über die Bosporusbrücke, ein Moment auf den ich mich schon seit einem halben Jahr gefreut habe. Also Visier auf und das phänomenale Gefühl in vollen Zügen genießen - so war zumindest der Plan.
Dummerweise spritzt mir ein Dosenfahrer, schon bei der Auffahrt zur Brücke mit seiner völlig verstellten Scheibenwaschanlage eine Ladung Seifenwasser-Spiritusgemisch in die Fresse. Ich sehe fast gar nichts mehr. Mit einem zusammengekniffenen, tränenden Auge kann ich die Umgebung nur noch erahnen und konzentriere mich erst mal auf das Wesentliche, denn der Verkehr ist heftig. Von der Überfahrt habe ich rein gar nix mehr mitgekriegt.

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