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Jerusalem
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Unsere Ankunft in Jerusalem, schließlich dem Ziel unserer Reise, wo wir die letzten 2 Wochen täglich drauf hingefiebert haben, hatten wir uns alle etwas anders vorgestellt. Das Einzige, was wir neben dem Frachtschiff für die Rückreise fest gebucht hatten, war eine Unterkunft in einem schönen urigen Hostal (heißt dort Hospiz), mitten in der Altstadt von Jerusalem. Das war sozusagen unser definiertes Reiseziel. (Zitat Rugard: “Das wichtigste ist dass man ein Ziel hat“.) Was wir leider nicht wussten war die Tatsache, dass die Altstadt von Jerusalem komplett für den Straßenverkehr gesperrt ist. |
Das haben wir erst kurz vor unserer Ankunft in einem Telefonat von den deutschen Vermietern erfahren. Was jetzt ? Die Vermieter sagten, wir könnten ruhig mit den Mopeds in die Altstadt kommen, wir sollen versuchen die Karren zu schieben. Mir war dieser Gedanke sehr suspekt und das habe ich auch geäußert. Aber was sollen wir tun ? Wir haben uns die Altstadt von Aleppo vorgestellt und gedacht: “Na ja, das wird schon irgendwie gehen.“
Zur Erklärung:
Die Tatsache dass die Altstadt von Jerusalem komplett für den Straßenverkehr gesperrt ist, ergibt sich schon alleine durch die Gegebenheiten. Jerusalem „old city“ muss man sich ungefähr so vorstellen wie eine flache Suppenschüssel, von ca.1km Durchmesser, die auf dem Gipfel eines Hügels in etwa 800m Höhe liegt. Der Rand der „Suppenschüssel“ wird gesäumt von einer wunderbar erhaltenen mächtigen Stadtmauer aus dem 16. Jahrhundert. Es gibt 8 schmale Stadttore, über die man als Fußgänger die Altstadt betreten kann. Man stößt auf ein Labyrinth aus engen Gässchen, die breitesten schätze ich mal auf 4 Meter. Von den Toren geht es meist über einige Stufen und steile Gassen, erst mal nach unten. Dort stößt man auf ein unglaubliches orientalisches Getümmel von Souks (Märkten), Touristen, Pilgern, Moslems, Juden, Christen und Arabern etc. Die schmalen Gassen platzen aus allen Nähten. Man ist umgeben von einer unglaublich tollen multikulti Atmosphäre, in der ich mich auf Anhieb wirklich sehr wohl gefühlt habe - ehrlich. Aber eher als Fußgänger, für Mopeds is das nix.
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Kurz bevor wir eintreffen, telefonieren wir noch einmal mit den Vermietern, die uns versichern dass wir durchaus mit den Motorrädern bis zur Unterkunft kommen können. Wir haben herausgefunden dass es beim Damaskustor kleine Rampen gibt, über die der Müll entsorgt wird. Dort wollen wir es probieren. Wir versuchen möglichst wenig Aufsehen zu erregen, und so freundlich wie möglich zu sein. Aber wir fallen hier zwangsläufig ziemlich auf. Am Damaskustor ruft uns ein Händler die Namen deutscher SS-Führer hinterher. „Do you know Dr. Fischer…“. Ein Ladenbesitzer spuckt vor uns aus. „Na ja, Bekloppte gibt es überall“ - denke ich mir - „Nichts drauf geben.“ |
Die meisten Menschen reagieren auch eher freundlich oder neutral. Immer weiter geht es nach unten ins Zentrum der Altstadt mitten durch die Menschenmassen, Marktstände und Kinderwagen.
Zu allem Überfluss haben die Geschäfte gleich Feierabend, wegen Sabbat, und die Händler kippen ihre Putzeimer mit Seifenwasser in die Gassen. Es ist sauglatt. Sehr viele orthodoxe Juden laufen eilig an uns vorbei auf dem Weg zur Synagoge. Wir schwitzen wie die Schweine und ich finde die Aktion auch konditionell schon echt grenzwertig. (Schließlich sind wir ja heute Morgen noch durch die komplette Negev-Wüste gefahren, und jetzt wird es schon wieder langsam dunkel) Die Nerven liegen blank. Außerdem frage ich mich wie wir hier je wieder rauskommen sollen, schiebenderweise jedenfalls nicht - unmöglich. Nach kurzer Zeit wird mir klar dass dieses Quartier für uns ungeeignet ist und schlage vor umzukehren. Die Kollegen wollen es jedoch weiter versuchen. Wir sind uns ziemlich uneinig bezüglich der Quartierwahl. Es geht immer weiter nach unten, und irgendwann fahren wir dann tatsächlich mit unseren Motorrädern auf der Via Dolorosa, Richtung Grabeskirche. Etwa 300m weiter, kurz vor der Unterkunft: Eine 23-stufige, teilweise steile Treppe. Das Aus ! Hier kommen wir nicht hoch. Rugard mit der Teneré würde es ohne Gepäck vielleicht mit Mühe noch schaffen. Ich versuche es kurz, klappt nicht - für die Dragstar: Keine Chance ! Werner macht den Vorschlag entweder das Gepäck hier zu lassen und die Mopeds woanders zu parken, oder die Motorräder rauf zu tragen. Zu Vorschlag 2: Unmöglich ! (Außerdem würde uns das die Möglichkeit nehmen die nächsten Tage Motorrad zu fahren, was ich schlecht tolerieren kann) Zu Vorschlag 1: Guter Vorschlag, aber niemand weiß, ob- und wo eine andere Parkmöglichkeit vorhanden ist, auch nicht nach mehrmaligen Erkundungsversuchen. Wir warten auf eine Rückmeldung der Vermieter, die wir leider nicht erreichen können. In der Zwischenzeit laufe ich alle möglichen anderen Routen und Stadttore ab, um zu ergründen ob es noch einen anderen, besseren Weg in- bzw. aus der „old city“ nach draußen gibt. Fehlanzeige, überall Treppen, wir hatten schon den bestmöglichen Weg gewählt. Die Müllabfuhr kommt mit kleinen Spezialfahrzeugen. Die kommen nur ganz schlecht an uns vorbei und sind auch nicht gerade begeistert, weil wir immer irgendwo im Weg stehen. Der Sabbat beginnt. Das sehe ich als Zeichen. Von Freitagabend bis Samstagabend sind (fast) alle Läden geschlossen. Es wird ruhiger in den Gassen. „Das ist DIE Möglichkeit hier wieder raus zu kommen !“ Wir haben jetzt schon über eine Stunde auf Hilfe gewartet. Deshalb: „Nix wie weg.“ Mopeds an und den Berg wieder rauf !
Es ist jetzt eine Situation entstanden die ich eigentlich unbedingt vermeiden wollte. Wir sind leider schlecht beraten worden, von Leuten die hier leben, und darauf hatten wir uns dummerweise verlassen. Der uneingeweihte Passant wird vermutlich gedacht haben: „Diese bekloppten deutschen, jetzt heizen die schon am Sabbat, mit ihren Enduros, durch Jerusalems Altstadt“. Wir sind den Berg dann wieder sehr zügig hochgefahren, denn ich sah darin die einzige Chance dieses Theater schnellstmöglich, ohne größere Spuren zu beenden. Ein paar Tage später hat uns das ein, in Jerusalem aufgewachsener, arabischer Christ einmal so erklärt: Jerusalems Altstadt ist das Herz von dem Herz von Jerusalem. Dort sind so viele Religionen und Kulturen auf engstem Raum konzentriert. Wenn man diesen Bereich betritt, muss man sich, sehr, sehr vorsichtig verhalten, denn alles was man tut, könnte schon wieder irgendjemand in seinen Gefühlen verletzen. Da haben wir also direkt bei unserer Ankunft erstmal voll ins Fettnäpfchen getreten. (Aber wir sind auch auf der Via Dolorosa Motorrad gefahren, ich glaube das hat es noch nicht so oft gegeben)
Irgendwann sind auch alle wieder oben angekommen. Inzwischen ist es stockfinster. Was jetzt ? Auf dem gegenüberliegenden Hügel sehen wir Gebäude die wie Hotels aussehen. Wir beschließen dort hinzufahren. Ich fahre vor und wir verfransen uns in dem unübersichtlichen Gewirr von Einbahnstraßen und Tunneln im nächtlichen Jerusalem. Die grobe Himmelsrichtung habe ich aber noch im Kopf. Irgendwann kommen wir aus einem Tunnel und sehen ein Hotel was mir sofort sympathisch erscheint. Es ist zwar von einer sehr hohen Mauer umgeben, gut gesichert und bewacht, aber auf Nachfrage wird das Gitter beiseite geschoben und wir fahren da einfach mal rein. Hinter der Mauer macht das alles einen sehr gepflegten und edlen, modernen Eindruck. Ich denke mir: “Ist bestimmt zu teuer !“ Der Hotelmanager hat auch schon mitbekommen dass sich „besondere“ Gäste eingefunden haben und kommt sofort auf mich zu. Dazu muss man sich vorstellen wie verwatzt wir ausgesehen- und gestunken haben an diesem Abend.
Der Hotelmanager heißt Maén. Ich erzähle ihm unsere Geschichte und er ist auf einmal völlig begeistert. Er kann es kaum glauben dass wir wirklich aus Deutschland bis hierher gefahren sind um uns Jerusalem anzusehen. Er versorgt uns erst einmal mit Getränken und sagt dass wir sehr willkommen sind. (das kommt uns doch irgendwie bekannt vor)
Man merkt sofort dass er es ehrlich meint. Bei dem Hotel handelt es sich um ein, von arabischen Christen geführtes Haus, das in Ost-Jerusalem liegt. Also genau in dem Gebiet, das wir eigentlich erstmal meiden wollten, denn kurz vor unserer Abreise hatte es irgendwo hier einen Anschlag gegeben, der in den deutschen Medien ziemlich breit getreten wurde. Die aktuelle Sicherheitslage konnten wir noch nicht richtig einschätzen. Außerdem liegt das Hotel noch genau zwischen der englischen Botschaft und dem amerikanischen Konsulat. „Ist das jetzt gut oder schlecht ?“ frage ich mich. Jedenfalls ist es gut bewacht. Maén interessiert sich ernsthaft für uns und unseren Trip - wir kommen ins Gespräch. Er gibt uns ein Doppelzimmer der gehobenen Klasse, mit großer Terrasse, für den Preis eines einfachen Zimmers. Für ein Hotel dieser Kategorie ist der Preis völlig in Ordnung. Wir haben an diesem Abend auch keine andere Möglichkeit mehr, denn es ist schon spät und wir sind alle ziemlich ausgepowert. Unsere Bikes könnten kaum sicherer stehen in dem bewachten Areal, nur 5 Gehminuten von der Altstadt entfernt - was will man mehr. Werner zieht es vor in dem Altstadt-Hostal zu übernachten, Rugard und ich bleiben hier. Maén gibt uns noch seine Handynummer, mit der ausdrücklichen Ansage, dass wir ihn bei eventuellen Schwierigkeiten in Jerusalem sofort kontaktieren sollen.
Die Dusche hatten wir wirklich nötig an diesem Abend. Der Magen knurrt und wir wollen noch etwas Essen gehen. Unten vor dem Hotel haben sich ein paar Leute um unsere Bikes geschart. Eine westlich gekleidete Frau und ein junger Araber schauen auf unsere Nummernschilder und unterhalten sich auf arabisch. Rugard spricht die Frau zuerst auf Englisch an. Als sie hört dass die Bikes zu uns gehören ist sie ganz aus dem Häuschen. Es stellt sich heraus, dass Iris auch aus Deutschland stammt, und vor einigen Jahren nach Israel ausgewandert ist. Sie fragt uns warum wir denn gerade in diesem Hotel gelandet sind, es wäre nämlich das empfehlenswerteste Haus in ganz Jerusalem. („Mal wieder Schwein gehabt“) Sie ist so begeistert von unserer Tour dass sie, gemeinsam mit ihrem arabischen Freund, mit uns den Abend verbringen möchte. Ihr Freund ist hier in Ost-Jerusalem aufgewachsen und ebenfalls ein sehr netter Typ. Zu viert ziehen wir los, und die beiden zeigen uns die schönsten Plätze in Ost-Jerusalem. Geil. Unterwegs unterhalten wir uns sehr gut, Rugard und Iris verstehen sich prächtig und für mich ist es sehr wertvoll, von ihrem Freund einmal aktuelle Informationen, aus erster Hand, bezüglich der Sicherheitslage in Israel zu bekommen. Er sagt dass es derzeit überhaupt kein Problem gäbe. Wir sollten einfach kreuz und quer durch das Land fahren, da wo es gefährlich wäre, würde man gar nicht so ohne weiteres hinkommen, weil es dort überall Kontrollposten gibt, das würde man dann schon merken. (Das haben wir in den nächsten Tagen auch genau so erlebt) Er erzählt außerdem, dass die Sicherheitslage in den Medien sehr oft übertrieben und falsch dargestellt wird. Mit dem Hintergrund, der Tourismusindustrie, der Haupteinnahmequelle Israels zu schaden. Darunter leiden vor allem die Araber. Er kann zahlreiche, glaubhafte Beispiele hierfür nennen. Irgendwann landen wir in einem arabischen Hotel, einem richtigen Edelschuppen. Wir lassen uns in einem wunderschönen Palmengarten nieder und möchten etwas zu Essen bestellen. Die Küche hat schon geschlossen. Iris zitiert den Hotelmanager herbei. Nach einer kurzen, ernsthaften Ansprache von Iris auf arabisch, wird die Küche wieder geöffnet und 2-3 Hotelangestellte kümmern sich um uns.
Ich kann kaum glauben was ich gerade gesehen habe. Der Hotelmanager dieses Edelschuppens hat sich gerade von Iris zur Schnecke machen lassen. Das macht mich stutzig. Ich frage mal ganz dezent nach, was sie denn beruflich so macht, und merke das sie damit nicht so richtig raus will. Aber im Laufe des Abends erfahre ich mehr. Iris ist eine Powerfrau. Äußerst gebildet, hat mehrere Sprachen studiert, ist Philosophieprofessorin, und hat auch Theologie studiert. Nach einem schweren Schicksalsschlag in Deutschland ist sie nach Israel ausgewandert und ist jetzt hier erfolgreiche Unternehmerin mit guten Kontakten in die Politik. Sie hat ihr gesamtes privates Vermögen in Zweckbetriebe am Rande des Gazastreifens investiert, mit der Auflage dass das Personal in ihren Betrieben zu mind. 40% aus Arabern besteht. Dafür bekommt sie auch Unterstützung aus der Politik, aber nur weil ihre Betriebe auch wirtschaftlich erfolgreich sind. Sie sagt: „Wenn wir den Menschen Arbeit geben, und damit ein festes Einkommen, ist das der erste Schritt damit es endlich Frieden in Israel gibt.“ Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten versucht sie mit eigenen Mitteln etwas für die Einigung Israels zu tun.
Wow. Hut ab !
Wir unterhalten uns noch sehr lange an diesem Abend. Der Kellner schaut irgendwann einmal etwas komisch, als Rugard und ich uns unser drittes Bier bestellen. Ich frage Iris, und die flüstert mir ins Ohr das es hier normalerweise nicht üblich ist, so viel Alkohol zu trinken. („Hmm, schon wieder aufgefallen“) Es ist sehr spät geworden. Rugard sagt, das es bis jetzt sein schönster Abend in Israel war. Iris und ihr arabischer Freund verabschieden sich. Ich rufe den Kellner um die Rechnung zu begleichen. Beschämt muss ich zur Kenntnis nehmen das Iris diese schon „heimlich“ bezahlt hatte.
Die Begegnung mit Iris und ihrem Freund war für mich etwas ganz Besonderes. Menschen die noch Visionen haben, und diese auch in die Tat umsetzen. Die Sichtweise der komplexen Problematik aus der Perspektive der arabischen Minderheit. Ich habe sehr viel gelernt, und mir sehr viel mitgenommen an diesem Abend.
Wir gehen zurück ins Hotel, Rugard legt sich ab. Ich sitze noch bis spät in die Nacht auf dem Dach des Hotels mit wunderbarem Ausblick auf das nächtliche Jerusalem und feiere noch alleine ein wenig meinen Geburtstag, der mittlerweile angebrochen ist.
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